Bild: Peggy und Marco Lachmann-Anke – Pixabay.com
Von Marco Groh
„Als wenn in China ein Sack Reis umfällt…“
Kennen Sie diesen Satz noch von früher? Er wurde benutzt, um zu signalisieren, dass ein Thema ohne Bedeutung ist. China ist weit entfernt und was ist schon ein umgefallener Sack Reis?
Doch trifft das heute tatsächlich so noch zu? Mit der heutigen Technik leuchten wir jeden Winkel der Welt aus, dank ihr und der Dichte an Medien bekommen wir aus dem entferntesten Winkel der Welt die Geschehnisse fast schon in Real-Time. Ein schreckliches Busunglück in China, ein Amok-Lauf in Südamerika – wir sind bei den Berichten ganz vorn dabei, ob es uns nun betrifft oder nicht. Und warum dann nicht auch einmal ein Sack Reis? Die nachfolgende Glosse soll aufzeigen, was hieraus entstehen könnte. Parallelen zu etwaigen historischen Ereignissen sind dabei natürlich rein zufällig 😉
Normalerweise wäre der umgefallene Sack Reis in der entlegenen Provinz in China nicht einmal eine Randnotiz wert gewesen. Doch es herrschte gerade mal wieder „Saure-Gurken-Zeit“ und der neue Internet-Newsanbieter suchte noch eine Gelegenheit, sich zu profilieren. Natürlich musste man die Nachrichten so etwas dramatischer machen. Und so kam es, dass der Sack natürlich nicht verschlossen war und eine Tasse Reis dabei verschüttet worden war. Die Schlagzeile las sich so schon deutlich interessanter: „Umgefallener Sack Reis zerstört Nahrung für 10 Hungernde in Entwicklungsländern“. Hätte der Newsdienst gewusst, was er damit anstößt….
Tatsächlich wurde ein Aktivist auf diese Meldung aufmerksam, und hatten die anderen Medien diese Nachricht bislang ignoriert, so begann aus dem kleinen Lüftchen eine Sturmfront heraufzuziehen. „10 Hungernde“ klang jetzt nicht so dramatisch… aber schließlich sind es Menschen, die starben, nur weil in China jemand nicht aufgepasst hatte. Der Sack war klein und die offenbar verschüttete Menge waren 5% des Inhalts. Also war die nächste Meldung: „5% der Nahrungsempfänger sterben, nur weil Reis nicht fachgerecht gelagert wird.“ Das klang nun schon deutlich dramatischer und niemand konnte diese Meldung mehr ignorieren. Natürlich hätte man die Zahlen schnell relativieren und richtig stellen können – doch wer würde den politischen Selbstmord riskieren? Jedes Leben zählt und wenn auch nur ein Mensch gestorben wäre, das kann man doch nicht in Kauf nehmen? Dass der Reissack gar nicht für Afrika vorgemerkt war, ist natürlich vollständig untergegangen.
Tatsächlich stehen in Deutschland die Bundestagswahlen vor der Tür. Und der sinnlose Tod vieler Leute ist ein geeignetes Wahlkampfthema. Schnell werden Vorschläge entwickelt und alle Parteien nehmen sich des Themas an. Eine EU-Richtlinie muss her, was die korrekte Lagerung von Reis betrifft. Und Länder, die sich an diese Richtlinie nicht halten, können nicht mehr unterstützt werden. Wir können es uns einfach nicht leisten, so nachlässig mit unseren Ressourcen umzugehen. Die neue Norm, die innerhalb von nur 3 Wochen verabschiedet wird, sieht eine Lagerung von Reis ausschließlich in doppelwandigen, reißfesten Behältnissen vor. Schließlich könnte so ein Sack ja nicht nur umfallen, sondern auch durch Stöße aufplatzen. Selbstverständlich sind alle Säcke zu verschließen. Die Kontrolle unterliegt dem Veterinäramt, was die Aufsicht über die Lebensmittelhygiene in Deutschland hat, und ein Verstoß wird mit anfänglich 1.000 Euro bestraft.
Doch die Kontrollen zeigen immer wieder Mängel, schnell wird diskutiert – es geht ja schließlich um Menschenleben – die Strafen deutlich zu verschärfen. Im Wiederholungsfalle müsse ein Reis-Lagerungsverbot für die entsprechenden Formen ausgesprochen werden. Privathaushalte sind aufgerufen, sich ebenfalls an der neuen Reislagerung zu beteiligen. Die entsprechenden Behältnisse aus besonders reißfestem Kunststoff werden staatlicherseits beschafft und kostenfrei in den Rathäusern ausgeteilt. Werbekampagnen werden gestartet, die neben hungernden Menschen aus den Entwicklungsländern die neuen Reisbeutel zeigen. Alle Einzelhandelsunternehmen ziehen mit, teilen die neuen Beutel kostenfrei an der Kasse aus. Die Frage, wer diese eigentlich benötigt (der Reis wird ja bereits in speziellen Verpackungen in die Geschäfte geliefert), wird nicht gestellt. Dafür hat jeder Haushalt in kürzester Zeit einen Krisenvorrat von zehn Beuteln – sollte ein Reisbeutel doch mal undicht werden. Die Tatsache, dass der Reispreis sich mehr als verdoppelt hat (Verpackung ist teuer), wird im Allgemeinen hingenommen. Immerhin retten wir damit ja Menschenleben in Afrika.
Wieder einmal hat sich gezeigt, wie erfolgreich unser Krisenmanagement ist – doch wir haben vergessen, dass in Deutschland gerade Wahlkampf herrscht. Zahlreiche Experten melden sich zu Wort und der neue designierte Landwirtschaftsminister stellt klar, dass Reis nur eines vieler Grundnahrungsmittel ist. Was mit Reis geschieht, könnte ebenso gut auch mit Getreide, Haferflocken und vielen anderen Dingen geschehen. Vehement tritt er dafür ein, die neue EU-Grundverordnung für Reis auch auf andere Lebensmittel auszudehnen. Schließlich könnten wir es nicht riskieren, dass ein Getreidemangel auftritt, nur weil ein großes Gebinde umfällt.
Gesagt, getan. Durch den großen öffentlichen Druck wird die Richtlinie erweitert. Auch Getreide wird nur noch in diesen doppelwandigen Kunststoffsäcken ausgeliefert. Was leider vergessen wurde: Durch diese Art der Lagerung bilden sich gerade bei Getreide Keime im Kondenswasser in den Tüten. Doch die Lagerung ist nach Meinung vieler Experten nicht das Problem. Schließlich seien die Verpackungen nun schon mehrere Wochen erfolgreich am Reis getestet worden. Offenbar haben wir eine Getreidekrise. Unser Getreide ist von einem noch zu bestimmenden Schädling befallen worden. Glücklicherweise haben wir große Chemieunternehmen, die bereits entsprechende aus dem Ackerbau bekannte Pestizide herstellen. Hiermit „geimpftes“ Getreide zeigt keine Spuren von Verkeimung.
Stimmen, die auf das Glyphosat-Thema in den USA verweisen und die Pestizide zunächst auf ihre Verträglichkeit testen wollen, werden überhört. Es geht darum, die kurzfristige Getreideversorgung sicherzustellen. Entsprechende Studien könnten parallel zur Zulassung betrieben werden – immerhin sei die bisherige Nutzung auf den Feldern auch ohne gesundheitliche Folgen geblieben.
Tatsächlich wird die neue EU-Verordnung ebenso wie viele nationale Gesetze schnell erweitert. Getreide darf nur noch in den Verkauf gebracht werden, wenn es nachweislich mit den neuen Pestiziden behandelt worden ist und damit jede Verkeimung ausgeschlossen werden kann. Querdenker, die immer wieder auf die gesundheitlichen Risiken des Pestizids hinweisen, werden ignoriert. Sie beginnen, ihr Getreide selbst in Gärten anzubauen – aber wer bei Ihnen zu Besuch ist, achtet streng darauf, dort nichts zu essen. Immerhin haben sie unbehandeltes Getreide. Wer weiß, welche Krankheiten man sich dadurch einfängt?
Ein Jahr hat es gedauert, nachdem die Meldung über einen umgefallenen Sack Reis in China das erste Mal veröffentlicht worden ist, bis endlich wieder Ruhe in Europa eingekehrt ist. Danke der neuen Verordnungen ist unsere Nahrung nun wieder sicher. Der leichte Anstieg der Sterblichkeit wird den allgemeinen Umweltgiften zugeschrieben. Der Klimawandel schreitet leider immer weiter voran. Nur ein paar ewig gestrige verweisen immer noch auf Pestizide in der Nahrung und den noch immer nicht abgeschlossenen Zulassungsstudien….
Was so ein Sack Reis heute doch verändern kann 😉
Lasst uns dafür sorgen, dass dies in Deutschland nicht passieren kann. Lasst uns Dinge kritisch hinterfragen, lasst uns um das Kümmern, was vor unserer Tür steht.