Einwurf von der SeitenlinieThilo Schneider

von Thilo Schneider

Wer Habeck als Kanzler haben will, der hat es leicht. Der wählt einfach die Grünen. Und wer Merz als Kanzler haben will: Die Union. Wer Weidel oder Scholz als Kanzler will, der kann das zwar vergessen, wird aber trotzdem AfD und SPD wählen. Das sind die einfachen Wähler.

Etwas schwieriger wird es mit den Taktikern: Wer sich Schwarz-Gelb im Bund wünscht – warum auch immer er das tun sollte, die FDP ist jetzt nicht gerade als „Partei mit klarer Kante“ bekannt und schlägt sich, wenn es ernst wird, gerne in die Büsche – der muss eben FDP wählen. In der Hoffnung, sie schaffen es über die 5%. Das Gleiche gilt für die Linke. Wer die Partei der Stasi und Mauerschützen wenigstens in der Opposition sehen will: Der derzeit einzig gangbare Weg ist über den Stimmzettel, solange noch „den Bürger abholen und mitnehmen“ illegal ist. Oder wählt die Partei des „Sowohl als auch vielleicht doch nicht“, das BSW, die Partei mit der Schlangenlinienausrichtung.

Und dann gibt es noch Leute wie mich – die strategischen Wähler. Das sind die, die auf gar gar keinen Fall erneut irgendein grünes oder rotes Gesicht in der Regierung sehen wollen. Wen muss ich wählen, um Habeck und Baerbock in verantwortlichen Positionen zu verhindern? Welches Kreuz muss ich setzen, damit Nancy Faeser ihr Entlassungsschreiben aus der Hand des Gedankenstandortverkünders Steinmeier erhält?

Die Antwort ist so kompliziert wie einfach: Ich habe keine Chance, keine echte Wahl. Wähle ich Merz, wird er zwangsläufig mit Rot oder Grün koalieren müssen, wenn er nicht auf offener Straße erschossen werden will und das erst recht, wenn sich die FDP nicht über die 5% heben lässt.

Wähle ich hingegen die FDP, die ihre Positionen bis zum Umfallen verteidigt, was sie dann ja auch meistens tut – also das Umfallen – dann ist zum Einen nicht gesichert, dass sie die 5% wuppen, zum Anderen wird es mutmaßlich nur mit einer gerupften FDP nicht reichen und Nancy Faeser bleibt Innenministerin. Andererseits ist die Atmosphäre zwischen SPD und Grünen und Union und FDP auf der anderen Seite derart vergiftet, dass mir nicht klar ist, wie eine Koalition aus denen das Land regieren will. Und das Merz sich auf das BSW – so es die unermüdliche Sahra schafft – oder sogar die Linke einlässt, ohne dass die Union zerbricht, scheint mir unwahrscheinlicher als die erste bemannte Mars-Mission noch in diesem Jahrzehnt.

Wenn ich also weiß, dass es keine linke Partei werden soll, die Bürgerlichen aber qua „Brandmauer in den Köpfen“ (eine kongeniale Erfindung, da sie die Union einer gigantischen strategischen Alternative beraubt) so oder so gezwungen sein wird, mit einer der selbsternannten Moralparteien zu koalieren – warum sollte ich dann trotzdem schwarz oder gelb, oder sogar blau wählen?

Ich verstehe, dass Menschen gerne bei den Gewinnern mit dabei sein wollen. Bei den Wahlen, in der Geschichte, „dabei sein“ ist zwar geil, aber „gewinnen“ ist geiler. Als Teilnehmer von Poetry Slams weiß ich das! Daher verstehe ich auch, wenn sich harmlose Normies bei „Demos gegen Rechts“ einreihen. Gemeinschaft und das gute Gefühl, bei den und dem Richtigen dabei zu sein und sich selbst zu bestätigen – lieber ein toter Fisch, der mit dem Strom schwimmt, als ein lebendiger Fisch, dem die Hausbank das Konto kündigt und der im Bademantel Besuch von der GSG9 bekommt, weil er Ravioli-Dosen gehortet hat. Von daher: Go for it. Wie Deine Urgroßeltern.

Was bleibt mir? Wahlenthaltung. „Macht Euren Dreck alleene“. Nur – dann zählt meine Stimme nicht. Dann tauche ich nur bei den Nichtwählern auf. Das ist traurig. Und völlig ohne Effizienz. Meine Stimme ist meine einzige Chance, mich an der Regierungsbildung zu beteiligen. Nicht zu wählen, bedeutet, diese Chance wegzuwerfen.

Wen ich also weiß, dass es für mich eh keine wählbare Regierungsoption gibt: Warum dann nicht eine der Dutzenden kleinen Parteien wählen? Denn egal, ob „Partei des demokratischen Sozialismus“ oder „Freibierunion“ – hier wird meine Stimme auf jeden Fall gezählt. Und die bekommt schon kein anderer.

Daher werde ich Bündnis Deutschland wählen. In der Erwartung, dass es für das BüDe nicht reichen wird, über die 5% zu kommen. Aber: Wenn ich will, dass Liberalkonservative wieder eine Stimme bekommen, dann muss ich diese unterstützen, größer zu werden. Wäre ich der Chef von BüDe, würde ich die Losung „0.5%“ ausgeben. Warum? Weil ich ab 0,5% meine Wahlkampfkosten vom Bund erstattet bekäme. Das ist nämlich eines von drei Hauptproblemen neuer Parteien: Kein Geld. Jedes Wahlplakat und jeder Kabelbinder wird hier direkt aus den Taschen der Mitglieder bezahlt. Von dem kostenlosen und ehrenamtlichen Engagement, die Plakate selbst zu hängen und sich Samstags in der Fußgängerzone die Beine aus Enthusiasmus bei Arschkälte breit zu stehen und Kulis an Rentner zu verteilen, einmal abgesehen. Und das ohne Chance, derzeit wirklich etwas bewirken zu können.

Die beiden anderen Probleme, neben eher rudimentären Finanzen, sind übrigens fehlendes Personal, sowohl in der Breite, als auch in der Spitze und die fehlende Medienpräsenz. So lange eine Partei keine abstrusen Forderungen wie „Rente mit 40“ oder „Führerscheinentzug für Rentner und Leute mit OF im Kennzeichen“ stellt, findet sie medial nicht statt. Oder glauben Sie ernsthaft, das BSW wurde wegen seines tollen Programms gewählt? Und nicht, weil Sarah Wagenknecht sogar in Überwachungskameras winkt?

Daher: Wenn ich schon keine Chance habe, Grüne oder Rote zu verhindern, dann will ich wenigstens die unterstützen, die sich aus Enthusiasmus und bürgerlichem Trotz auf den weiten Weg des demokratischen Parlamentarismus gemacht haben. Dann hat meine Stimme wirklich etwas bewirkt.